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Versicherer/Schadenbearbeitung
KI-Einsatz reguliert Schäden schneller
Auch das Kundenverhalten verändert sich rasant, sagt im Interview Christian Krams, Leiter Schaden Konzern Versicherungskammer und Vorstandsmitglied Bavaria Direkt.

Herr Krams, Sie setzen Data Analytics und künstliche Intelligenz (KI) in der Schadenbearbeitung ein. Wie kam es dazu und wie beschleunigt die Pandemie die Entwicklung?

Das Verhalten der Kundinnen und Kunden verändert sich durch Covid-19 noch schneller als vor der Pandemie. Vorbehalte gegenüber der digitalen Welt nehmen immer mehr ab. Das manifestiert sich in den tausendfachen Kundenkontakten, die wir täglich bei der Schadenaufnahme haben.

Unsere Kunden sind viel mehr als früher bereit, zur Aufnahme des Schadens auch digitale Tools zu nutzen. Doch die digitalen Umwälzungen gehen viel weiter. In der Schadenbearbeitung der Versicherungskammer haben wir 2018 eine weitreichende und tiefe Transformation initiiert, die wir konsequent vorantreiben. Dabei setzen wir vor allen Dingen auf Qualität und Kundenorientierung, wir nehmen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit – und setzen gleichzeitig auf den intensiven Einsatz moderner Technologien.

Wir sind bereits dabei, Datenanalyse und künstliche Intelligenz so einzusetzen, dass wir den jeweiligen Schaden der Kunden schneller und individueller regulieren können. Wir bewegen uns dabei ständig im Spannungsfeld zwischen der Erfüllung der steigenden Erwartungen unserer Kunden – selbstverständlich auch der Sparkassenkunden – auf der einen Seite und einer Schadenbearbeitung auf Basis unserer Vertragsbedingungen, die den Kalkulationen unserer Versicherungsprodukte zugrunde liegen, auf der anderen Seite.

 

Christian Krams, Leiter Schaden Konzern Versicherungskammer und Mitglied des Vorstands Bavaria Direkt.

Bedeuten Data Analytics und künstliche Intelligenz, dass der persönliche Kundenkontakt abnimmt?

Als Regionalversicherer ist uns gerade im Schadenfall der persönliche Kontakt – sofern gewünscht – wichtig. Hier stellen wir uns noch mehr auf den Kundenwunsch ein. Kundinnen und Kunden werden künftig je nach Schadenbild und persönlicher Betroffenheit digital mit uns als Versicherer kommunizieren wollen oder aber den persönlichen Kontakt suchen.

Beides wollen wir dauerhaft ermöglichen. Schließlich bedeuten Schäden eine – oft auch emotionale – Herausforderung. Mit uns machen Kunden die Erfahrung: Mir wird geholfen und die Versicherungskammer kümmert sich. Schäden wollen wir menschlich und digital bearbeiten. Das ist kein Widerspruch.

Und erlauben Sie mir eine grundsätzliche Anmerkung zu KI: Speziell im Schadenprozess, bei dem wir es praktisch immer mit zahlreichen Beteiligten und damit Prozessschritten zu tun haben, wird sich in der Regel nicht der gesamte Prozess, sondern werden sich eher einzelne Schritte automatisieren lassen.

Wo und wie arbeitet die Versicherungskammer beim Schadenmanagement zurzeit mit KI-Systemen?

Wir haben zunächst ein komplexes mathematisches Modell entwickelt, das es uns ermöglicht, die Qualität der Schadenregulierung aus Sicht verschiedener Perspektiven zu bewerten. Damit wird erstmals analytisch klar, was es heißt, einen Schaden sowohl aus Kundensicht als auch aus Unternehmenssicht „optimal“ zu regulieren.

Wir analysieren einen wachsenden Bestand an in diesem Sinne optimal abgewickelten Schadenfällen. Jede neue Schadenmeldung wird mit den Erkenntnissen aus der Vergangenheit abgeglichen. Den Fachkräften in der Sachbearbeitung werden daraufhin mittels künstlicher Intelligenz die besten nächsten Schritte im aktuellen Fall empfohlen. Das entlastet sie, beschleunigt den Prozess und führt zu einer einheitlicheren Bearbeitung.

Dabei handelt sich um ein selbstlernendes System, an dem wir zusammen mit der Bundeswehr-Universität München arbeiten. Trotz der intelligenten technischen Unterstützung behalten die Sachbearbeiter mit ihrer Kompetenz das Heft in der Hand. Sie entscheiden, wie weiter zu verfahren ist. Zudem wird der Kundenwunsch, beispielsweise bezüglich der Abrechnung, mithilfe der Datenanalysen vorhergesagt. So wird der Schadenfall reibungsloser bearbeitet.

Wie wird ein Schaden mit KI-Unterstützung bearbeitet?

Wenn zum Beispiel eine Kunde einen Auffahrunfall meldet, untersuchen wir im ersten Schritt komplett digital, welche abgeschlossenen Kfz-Schäden dem aktuellen Fall ähneln. Darüber hinaus sehen wir uns an, welche dieser Fälle im Sinne der Kunden und des Unternehmens erfolgreich abgeschlossen wurden.

Daraus leiten wir die konkreten Vorgehensweisen ab, die die Sachbearbeiter für den aktuellen Fall anwenden können. Aus dieser neuen Arbeitsweise resultiert am Ende eine schnellere und kundenspezifische Regulierung des Kfz-Schadens. Dieser Ansatz ist umfassend und in der gesamten Versicherungswirtschaft völlig neu.

Wie können KI-Systeme künftig helfen, Geld, Zeit und Aufwand zu sparen?

Wir sehen bereits, dass Schäden schneller bearbeitet und im Ergebnis mit höherer Kundenzufriedenheit abgeschlossen werden können. Dadurch sinken die Schadenaufwände, beispielsweise durch geringere Kosten für Ersatzfahrzeuge, selteneren Einsatz fremder Gutachter, Reduktion von Anwaltskosten und so weiter.

Uns geht es vorrangig darum, den Schadenfall so zügig und so gut wie möglich zu regulieren, also fair für die Kunden und wirtschaftlich für das Unternehmen. Wir befinden uns noch in einer frühen Phase der Entwicklung. Wir werden in den nächsten Jahren noch weitere Fortschritte beim Einsatz von Data Analytics und künstlicher Intelligenz in der Schadenbearbeitung erleben. Unser Anspruch ist es, diese Entwicklung aktiv mit voranzutreiben.

Was können Sparkassen aus den Erfahrungen der Versicherungskammer lernen?

Dass die Zusammenarbeit von Mensch und intelligenter Technik kein Widerspruch ist, sondern sich daraus eine Win-win-Situation ergeben kann, ist meines Erachtens die wichtigste Erkenntnis. Dieses Zusammenspiel gilt es immer weiter zu verfeinern, um die Chancen moderner Technik optimal zu nutzen und auch Empathie immer wieder einzubringen. Dies bleibt eine große Herausforderung, der wir uns im Interesse unserer Kunden und auch Vertriebspartner gerne stellen

Was haben die Sparkassen von diesen neuen Arbeitsweisen in der Schadenbearbeitung?

Ohne die Erwartungen zu überziehen: Es handelt sich um einen entscheidenden Vertriebsvorteil, wenn durch die moderne Bearbeitung die Kundenzufriedenheit steigt und die Rückfragen abnehmen. Die Kundenberater können sich auf ihre Kernkompetenz der individuellen Beratung konzentrieren und werden von Verwaltungstätigkeiten entlastet. Außerdem könnten sich weitere Verkaufsanlässe, etwa für Up- oder Cross-Selling, ergeben. Auch die Sparkassen profitieren also, wenn die Versicherungskammer im Schaden vielen Wettbewerbern voraus ist.

Data Analytics und künstliche Intelligenz

Data Analytics oder Datenanalyse beschreibt das Erkennen, Interpretieren und Kommunizieren von Mustern oder Strukturen in (großen) Datenmengen. Diese Datenmengen sind in der Regel so groß und komplex, dass der Mensch diese Muster oder Strukturen nicht mit vertretbarem Aufwand erkennen könnte.

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich damit beschäftigt, rationale und kognitive menschliche Intelligenz auf technischen Maschinen zu simulieren, um sie für den Menschen nutzbringend einzusetzen.

26. Mai 2021