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KI-Corner 11/20
Vermögen digital managen
Im Portfoliomanagement und im Handel sowie bei Risikomanagementpraktiken lassen sich Effizienz, Genauigkeit und Compliance durch moderne Technologien verbessern. In Banken und Sparkassen laufen erste Projekte mit Erfolg.

KI-Techniken helfen im Bereich Vermögensverwaltung vor allem bei der Konstruktion von Portfolios auf der Grundlage genauerer Risiko- und Ertragsprognosen und unter komplexeren Bedingungen. Handelsalgorithmen nutzen KI-Techniken, um neuartige Handelssignale zu entwickeln und Geschäfte mit geringeren Trans­aktionskosten auszuführen.

Der Einsatz von KI verbessert die Risikomodellierung und -prognose, indem sie Erkenntnisse aus alternativen bzw. unstrukturierten Datenquellen generiert und in die Analyse einbezieht. Quellen dieser alternativen Datensätze sind: Social Media Feeds, Aufzeichnungen von Telefonkonferenzen, geografische Daten oder Satellitenbilder.

Diese Datenpunkte können Portfoliomanagern helfen, einzelne Unterneh­men und sektorale Trends besser einzuschätzen. Da die Menge der verfügbaren Echtzeitdaten immer größer wird und die Fähigkeit des Einzelnen, sie zu analysieren und zu verstehen, übersteigt, liefern KI-Technologien zur Recherche, Bereinigung und Auswertung neue Lösungsansätze.

KI und Maschinelles Lernen (ML) ermöglichen es Vermögensverwaltern, in diesen Daten Muster in einem bestimmten Maßstab zu finden und damit unter Umständen Signale zur Generierung von Renditen für Kunden zu identifizieren.

Die Verarbeitung unstrukturierten Daten, die in Text-, Bild- oder Sprachformaten vorliegen und damit nicht ohne weiteres nutzbar sind, hat neben konventionellen Finanz- und Wirtschaftsdaten einen positiven Effekt auf den Investitionsentscheidungsprozess.

KI und ML sind somit wichtige Schlüsseltechnologien, um strukturierte und unstrukturierte Daten zu verarbeiten. Da diese Technologien Informationen schneller als Menschen verarbeiten und bislang unerkannte Datenmuster erkennen können, sind auf dieser Basis bessere Prognosen möglich.

Dadurch verbessert sich auch die Analyse umfangreicher Daten-Pools, die Grundlage für das Potenzial von KI sind, unstrukturierte Daten in umsetzbare Erkenntnisse für erfolgreiche Anlagestrategien umzuwandeln. KI-Algorithmen können jedoch nicht nur zur Verbesserung der Prognosen hinsichtlich der künftigen Entwicklung einzelner Anlageklassen und Wertpapiere beitragen, sondern auch zur Ermittlung der optimalen Vermögensallokation zu einem gegebenen Zeitpunkt.

Eine klassische Anwendungsdomäne von KI in der quantitativen Vermögensverwaltung ist die Identifizierung komplexer (nicht-linearer) Muster und verborgener Beziehungen, die mit konventionellen statistischen und ökonometrischen Methoden oft schwierig oder sogar nicht identifizierbar sind.

Zum Beispiel haben Audrino, Sigrist und Ballinari (2019) Techniken des maschinellen Lernens (Sentiment Klassifizierungstechniken) verwendet und mit den gewonnen Informationen Prognosen zur Volatilität von Aktienmärkten machen können. Ein weiterer Vorteil der KI-Techniken im Vergleich zu linearen Modellen ist, dass diese Algorithmen effektiver sind, wenn erklärende Variablen korrelieren (Rasekhschaffe und Jones, 2019).

Zahlreiche KI-Ansätze für Vermögensverwaltung

Zu den populärsten KI-Ansätzen in der Vermögensverwaltung und im Finanzwesen zählt das ML. ML-Anwendungen basieren auf eine Reihe wichtiger (Klassen von) Techniken (s. Abb. 1). Dazu gehören: Künstliche Neuronale Netze (KNNs), Clusteranalyse, Entscheidungsbäume und Random Forests, Lasso (Operator für geringste absolute Schrumpfung und Auswahl), Support-Vektor-Maschinen (SVMs) und die Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP), Bartram et al. (2020).

Das Vermögensmanagement bietet ein breites Spektrum potentieller KI-anwendungen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die drei Hauptbereiche: Portfolio-Management, Portfolio-Risikomanagement und Front Office.

Portfolio-Management

Das Portfoliomanagement umfasst unter anderem die Identifizierung geeigneter Vermögenswerte, die Portfolio-Optimierung und die Neugewichtung des Portfolios. Dazu sind komplexe quantitative Modelle erforderlich, um simulierte Ergebnisse zur Bestimmung von Anlagestrategien zu bestimmen.

Zur Durchführung anspruchsvoller Fundamentalanalysen und zur Optimierung der Vermögensallokation eignen sich KI-Techniken, weil sich damit Erträge und Kovarianzen im Vergleich zu konventionellen Methoden besser schätzen lassen.

Die Risikomodellierung mit Hilfe von KI-Methoden und fortschrittlichen mathematischen Algorithmen zur Datenanalyse ist dabei von zentraler Bedeutung. Neben der Modellierung verschiedener Risikoarten (Markt-, Volatilitäts-, systemische Risiken etc.) sind Modelle der Marktforschung, der Compliance und dem Portfoliomanagement besonders häufig.

Im Bereich der Portfoliooptimierung können KNNs Entscheidungen über die Vermögensallokation unterstützen. Beispielsweise kann ein neuronales Netz Portfolios nach einem Lernkriterium auswählen, das die Erträge maximiert. Darüber hinaus lassen sich in KNNs Ansichten über die künftige Wertentwicklung von Vermögenswerten abbilden, um höhere Out-of-Sample Sharpe-Quotient zu generieren, Bartram et al. (2020).

Portfolio-Risikomanagement

Im Portfolio-Risikomanagement lässt sich mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz das Marktrisiko visualisieren.

Das Risikomanagement beinhaltet die Verwendung von Daten zur Preisfestsetzung und Verwaltung von Risiken, einschließlich Kredit-, Markt-, Betriebs- und Liquiditätsrisiken. ML-basierte Risikomanagementsysteme generieren Frühwarnindikatoren für potenzielle Ausfälle und ermöglichen eine dynamische Messung des Risikoprofils für die Kreditrisikoüberwachung.

ML verbessert die Effizienz der Back-Office-Verarbeitung und der Berichtsfunktionen. Dazu zählen Anwendungen zur Visualisierung des Marktrisikos durch die Analyse von Volatilitätstrends und zur Messung des Liquiditätsrisikos durch die Analyse mehrdimensionaler Risiko- und Exposure-Daten.

Weitere Anwendungsgebiete von KI betreffen das Marktrisikomanagement. NLP-Ansätze ermöglichen das Extrahieren wirtschaftlich aussagekräftiger Informationen aus verschiedenen Textquellen (z. B. Jahresberichte von Unternehmen, Nachrichtenartikel und Twitter-Posts).

Im Vergleich zu konventionellen Textanalyse-Techniken wie wörterbuchbasierten Ansätzen, die Informationen nur aus einzelnen Wörtern des Textes extrahieren, können KI-Anwendungen auch den Kontext und die Satzstruktur interpretieren.

Darüber hinaus können KI-Modelle Aktien identifizieren, bei denen eine bestimmte Performance erwartet wird. Die Ergebnisse dieser Analysen können dann in den Portfolio-Optimierungsprozess durch Zuteilung von mehr (weniger) Gewicht auf Vermögenswerte mit hohem (niedrigem) Alpha eingehen.

KI kann Risikomanagern auch bei Validierung und Backtesting von Risikomodellen unterstützen. Damit lassen sich Anomalien im Risikomodell erkennen, indem alle erzeugten Projektionen ausgewertet werden.

Ein weiteres Anwendungsfeld ist das Fraud Management. Mit KI lassen sich umfangreiche heterogene und vielfältige Daten aus internen und externen Quellen analysieren, um Risikomerkmale zu extrahieren und komplexe Korrelationen in Echtzeit zu analysieren.

Modelle zur Risikoprognose und Betrugsidentifikation ermöglichen das Aufdecken bisher versteckter Hinweise auf mögliche Betrugsrisiken. Gleich­zeitig verbessert KI die Präzision von Echtzeitentscheidungen. Mit Hilfe von KI-Techniken können Betrugserkennungssysteme jetzt aktiv lernen und auf neue potenzielle (oder echte) Sicherheitsbedrohungen reagieren und einzigartige Aktivitäten oder Verhaltensweisen (Anomalien) zu kennzeichnen.

Front Office

Tools, die KI und ML verwenden, ermöglichen eine persönliche Anlageberatung zu geringeren Kosten als bei traditionellen Beratungsmodellen. Auf der Grundlage von Merkmalen wie Alter, Einkommen, Risikotoleranz und gewünschtem Einkommen im Ruhestand können modellbasierte digitale Tools den Anlegern dabei helfen, eine geeignete Vermögensallokationsmischung auszuwählen.

Beispiel: ForwardLane

Die KI-gestützte Software von ForwardLane umfasst ein Berater-Dashboard, Compliance-Funktionen, Anlageverwaltung, Kundengespräche und Funktionen für die Finanzintelligenz.

In den USA kombiniert das Startup-Unternehmen ForwardLane die KI mit quantitativen Investitionsmodellen und Finanzplanung, um eine neue Variante digitaler Vermögensverwaltungsplattformen zu schaffen (ForwardLane 2020). Ziel von ForwardLane ist es, den Beratern eingehende quantitative Modellierung, Antworten in Echtzeit und eine sehr persönliche Anlageberatung zu bieten. Das Unternehmen ist bestrebt, individuellen Anlegern institutionelle Risikoelemente zur Verfügung zu stellen.

Anfang 2016 hat ForwardLane eine KI-gestützte Software auf den Markt gebracht, die ein Berater-Dashboard, Compliance-Funktionen, Anlageverwaltung, Kundengespräche und Funktionen für die Finanzintelligenz umfasst.

ForwardLane verfolgt das Ziel, den Berater in die Lage zu versetzen, sich stärker auf Kundeninteraktionen zu konzentrieren und gleichzeitig die Betriebskosten zu senken. KI ermöglicht es ForwardLane, einem Berater Beratung auf der Grundlage der Einbeziehung umfangreicher Datenmengen in Echtzeit zu liefern.

Fazit

Technologie hat eine eine integrale Rolle in den verschiedenen Funktionen der Vermögensverwaltung. In dem Maße, wie neue Instrumente entwickelt werden, die Rechenleistung erschwinglicher wird und die Verfügbarkeit von Daten weiter zunimmt, werden sich zusätzliche Anwendungsfälle für KI und ML in der Vermögensverwaltung ergeben.

Es gibt bereits Werkzeuge, die dazu beitragen können, Risiken zu mindern, Kosten zu senken, bessere Erträge zu erzielen und Produkte und Dienstleistungen für Kunden effizienter zu liefern.

Angemessene Kontrollen und die direkte Beaufsichtigung durch menschliche Fachleute sind entscheidend, um den Erfolg von KI- und ML-Anwendungen zu gewährleisten.  Unabhängig davon, welchen Ansatz ein Unternehmen anwendet, sind menschliches Urteilsvermögen, Überprüfung und robuste Tests von KI-Lösungen von entscheidender Bedeutung.

Literatur

  1. Audrino, F., Sigrist, F., & Ballinari, D. (2020): The impact of sentiment and attention measures on stock market. Startseite: www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0169207019301645 (Stand: 05. November 2020).
  2. Bartram, S., M.,Branke, J., Motahari, M. (2020): Artificial Intelligence in Asset Management, CEPR Discussion Papers 14525.
  3. ForwardLane (2020). Startseite: www.forwardlane.com/ (Stand: 12. November 2020).
  4. Rasekhschaffe, K., Jones, R. (2019): Machine Learning for Stock Selection, in Financial Analysts Journal, vol. 75, no. 3 (Third Quarter 2019). Startseite: papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3330946 (Stand: 05. November 2020).
  5. Deloitte (2019): Whitepaper zu Künstliche Intelligenz im Compliance-Umfeld von Banken & Co. Startseite: www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/risk/Whitepaper-K%C3%BCnstliche-Intelligenz-im-Compliance-Umfeld-von-Banken-und-Co.pdf:%20Startseite:%20https:/www.bis.org/fsi/fsibriefs7.pdf%20 (Stand: 08. Oktober 2020).

Autor
Prof. Dr. Dirk Neuhaus, MBA ist Professor für Informationssysteme in Finanzdienstleistungsunternehmen an der Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe in Bonn und forscht auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. 

Prof. Dr. Dirk Neuhaus
– 27. November 2020