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Unternehmensstrategie
Götterdämmerung im Mischkonzern
Thyssen-Krupp ist nur ein Fall von vielen, Hedgefonds haben deutsche Konzerne im Visier. Die aggressiv auftretenden Investoren versuchen, Manager zu Auf- und Abspaltungen von Konzernbestandteilen zu bewegen. Ist das Heuschreckenmentalität, wie die Politik unterstellt? So einfach ist es nicht, sagt im Interview Corporate-Finance-Professor Michael Grote.
Hochofen von Thyssen-Krupp − der Aufsichtsrat hat einer Aufspaltung des Konzerns in zwei börsennotierte Unternehmen zugestimmt. Zuvor hatte es eine erbitterte Auseinandersetzung mit dem aktivistischen Aktionär Paul Elliott Singer gegeben. Ob sich der mit einer Aufspaltung zufriedengibt, ist ungewiss.

Herr Grote, Aufspaltungen und Zerschlagungen großer Unternehmen hat es immer schon gegeben. Warum werden sie heute besonders heiß diskutiert?
Prof. Michael Grote: Zum Thema Abspaltungen und Zerschlagungen sehen wir heute besonders große Fälle, wie wir sie früher nicht kannten. Das sorgt für Schlagzeilen.

Sind Unternehmen in ihren herkömmlichen Strukturen den heutigen Herausforderungen nicht mehr gewachsen?
Grote: Ich glaube, es handelt sich vor allem um Reaktionen auf einen stärker gewordenen Wettbewerb. So hat der Wettbewerb etwa im Handel aufgrund des Onlinegeschäfts stark zugenommen. Auch im Bereich der Industrie hat sich der Wettbewerb – vor allem im internationalen Bereich – kräftig verstärkt. So stößt beispielsweise der deutsche Maschinenbau heute sogar in Schwellenländern auf zunehmend spürbar werdende Konkurrenten.

Siemens, Continental und Daimler bauen derzeit um, VW hat seine LKW-Sparte schon ausgegliedert und macht sie derzeit börsenfähig. Statt übermächtiger Konzernzentralen also Holdings und Töchter − warum?
Grote: Die Geschäfte lassen sich aus den Konzernzentralen immer weniger gut steuern. Hier liegt das Wesen der Abspaltungen: Das Problem bei den Großunternehmen liegt oft in Defiziten der Aufmerksamkeit des Top-Managements begründet: In begrenzter Zeit müssen Entscheidungen unter hohem Wettbewerbsdruck getroffen werden. In dieser Zeit können durchaus tiefe und gut analysierte Entscheidungen für eine begrenzte Zahl wichtiger Geschäftseinheiten getroffen werden. Aber ein Teil der Geschäftssparten läuft einfach nur mit. Ihm fehlt die besondere Aufmerksamkeit.

Was kann ein Unternehmen dagegen machen?
Grote: Der Klassiker: Man spaltet kleinere Sparten ab. Das bisherige obere mittlere Management dieser Geschäftsbereiche wird dann zur Führung des neuen Unternehmens, das jetzt weitgehend unabhängig und damit schneller und marktkonformer in seiner Geschäftspolitik reagieren kann. Zeitraubende Entscheidungswege zur bisherigen Firmenzentrale entfallen. Wird die Sachlage etwa wegen der Wettbewerbsbedingungen zu komplex, dann kann es besser sein, bestimmte Unternehmensbereiche abzuspalten und zu verselbständigen sowie Entscheidungsgewalten komplett nach unten durchzureichen.

Das scheint aber nicht immer ein Erfolgsrezept zu sein.
Grote: Das ist richtig. So haben bei Metro die Abspaltung von "Saturn" und "Media-Markt" zumindest bisher nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Auch die DWS-Aktie hat nach der Abspaltung der DWS von der Deutschen Bank deutliche Verluste eingefahren. Aber mit der Mehrzahl der Unternehmensabspaltungen wurde das Ziel erreicht. Von außen fällt eine Beurteilung generell schwer. Grundsätzlich ist eine Abspaltung sinnvoll, wenn die Vorteile – das schnellere Agieren, die tiefere Befassung mit dem Geschäft – schwerer wiegen als die Nachteile. Nachteilig kann der Wegfall der im Konzern gemeinsam genutzten Infrastruktur sein, etwa das Wissen über bestimmte Märkte und technische Entwicklungen.

Die Aktionäre erwarten oft Großes von Abspaltungen. Sie haben untersucht, wie sich der Kurs von entwickelt, wenn sich eine Abspaltung ankündigt. Was passiert?
Grote: Der Aktienkurs spiegelt stets neue Gegebenheiten und künftige Möglichkeiten im Unternehmen wider. Schon in dem Moment, da die Abspaltung angekündigt wird, entwickelt sich der Aktienkurs des Unternehmens positiv, obwohl noch keine näheren Umstände der Abspaltung bekannt sind. Die bloße Ankündigung reicht aus, um einen im Durchschnitt deutlich positiven Kursausschlag von etwa drei Prozent auszulösen, in Einzelfällen auch deutlich mehr. Anders reagieren die Kurse bei Ankündigungen von Unternehmenskäufen, nämlich leicht negativ bis null.

 

"Index-Fonds bilden stumpf den Markt ab. Folglich besteht die Gefahr, dass das Management zu einem gemütlichen Job verleitet wird"

Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat in der ersten Jahreshälfte bereits 19 Angriffe von aggressiv auftretenden Investoren beobachtet, die sich nicht mit der Ausübung ihres Stimmrechts begnügen, sondern sich ins Management einschalten. Insgesamt rechnet die Bank für 2018 mit 38 solcher Attacken, der Fokus liege auf Deutschland. Was kommt auf die Unternehmen zu?
Grote: Ich glaube, dass es in der Tat einen stärkeren Markt für Investoren dieser Art gibt. Wir haben immer mehr Index-Fonds, die sich nicht ins Unternehmensmanagement einmischen. Sie bilden stumpf den Markt ab. Folglich besteht die Gefahr, dass das Management zu einem gemütlichen Job verleitet wird. Hier sehen aktivistische Investoren ihre Chance und Aufgabe, nämlich die Funktion des Aufpassers wahrzunehmen, der dafür sorgt, dass der Wert des Unternehmens nicht unter die Räder gerät.

Das ist eigentlich die Aufgabe des Aufsichtsrats.
Grote: Durchaus, und diese Aufgabe wurde auch intern immer wahrgenommen. Aktionäre äußerten ihren Unmut allenfalls in der Hauptversammlung, die Öffentlichkeit war weitaus weniger intensiv informiert. Das ist heute anders, denn die aktivistischen Investoren treten lautstark und öffentlichkeitswirksam auf. So wird ein von der Geschäftsführung als unangenehm empfundener Druck von außen aufgebaut. Insofern hat sich da etwas geändert.

Werden Unternehmen zerschlagen, die nicht rechtzeitig selbst reagieren?
Grote: Hedgefonds oder Private-Equity-Fonds können nur die Unternehmen aufspalten, an denen sie sich beteiligen können. Ziel der Fonds ist es in der Regel, den Wert der Unternehmen durch Zerlegungen zu steigen. Dabei wird meist nicht leichtfertig vorgegangen, zuvor werden ganze Herden von Unternehmensberatern durch den Konzern geschickt. Gutachten im Umfang von 600 Seiten sind keine Seltenheit. Die Analysen werden sorgfältig ausgewertet, bevor die Hedgefonds tatsachlich aktiv werden. So können die Unternehmen gestärkt und ihre Wettbewerbsfähigkeit am Markt erhöht werden. Gleichzeitig profitieren die Aktionäre insgesamt von höheren Kursen und können sich über höhere Dividenden freuen.

Ist die Summe der Einzelteile eines Konzerns stets mehr wert als der Gesamtkonzern?
Grote: Nein. Dies ist zwar häufig der Fall, aber nicht immer. Hier kommt es auf den Einzelfall an. Dass dem oft so ist, verdeutlichen vor allem die Arbeitshypothesen größerer Hedge- und Private-Equity-Fonds, die sich in der Regel nur nach sehr sorgfältigen, umfangreichen Unternehmensanalysen an Unternehmen für eine gewisse Zeit beteiligen, um diese zu zerschlagen und so mehr Wert zu schaffen suchen.

Haben diese Investoren nur Mischkonzerne, die sich in Schwierigkeiten befinden, im Visier?
Grote: In einem gut geführten Unternehmen mit einer starken Strategie gibt es meist nur wenig Spielraum für Verbesserungen. Deshalb sind solche Unternehmen für Hedgefonds relativ uninteressant. Mischkonzerne stehen dagegen am stärksten unter Druck und sind deshalb besonders im Visier von Hedgefonds. In großen, sehr komplexen Mischkonzernen finden sich die meisten Möglichkeiten zu wertgenerierenden Aufspaltungen. Wie erwähnt, erfährt nicht jede Abteilung die Aufmerksamkeit, die für ihre Entwicklung optimal wäre.

Anders als befürchtet, wird der Mischkonzern Thyssen-Krupp von den beteiligten Hedgefonds nicht zerschlagen. Der Aufsichtsrat hat eine Teilung in zwei börsennotierte Unternehmen laut CEO Gido Kerkhoff einstimmig beschlossen. Wird es damit auch zu einer Wertsteigerung kommen?
Grote: Der Börsenkurs von Thyssen-Krupp hat sich nach der Ankündigung zunächst um etwa zehn Prozent erhöht, insofern sehen die Aktionäre durchaus eine starke Wertsteigerung. Allerdings stehen viele Details noch aus – ob die Aufteilung in zwei Unternehmen langfristig ausreichen wird, oder ob es noch weitere Abspaltungen geben wird, ist noch nicht ausgemacht.

Welche Renditen erwarten die aktivistischen Investoren?
Grote: Das ist im Einzelnen schwer zu sagen. Aber wenn sich aufgrund umfangreicher Analysen Renditeerwartungen von etwa 20 Prozent pro Jahr ergeben, dann seien sie sicher, dass diese Investoren auch tätig werden.

 

"Selbst Abspaltungen oder Aufteilungen führen nicht zwangsläufig zu Massenentlassungen"


Wie verträgt sich das Vorgehen aggressiver Investoren mit der sozialen Marktwirtschaft, die neben dem Wohl des Unternehmens immer auch das der Mitarbeiter, der Kunden und der Region einschließt?
Grote: Zunächst ist das Streben nach gut aufgestellten Unternehmen und einer hohen Rendite ja nicht gegen die soziale Marktwirtschaft gerichtet. Selbst Abspaltungen oder Aufteilungen von Unternehmen führen nicht zwangsläufig zu Massenentlassungen. Wir kennen auch viele Fälle, in denen durch Zerlegungen die Arbeitsplätze langfristig gesichert und sogar aufgebaut wurden. Natürlich kann es regional zu ernsten Situationen kommen, wenn nur zwei Unternehmen die Wirtschaftsstruktur bestimmen und eines geschlossen oder verlagert wird. Diese Gefahr ist kleiner bei Familienunternehmen, die im Allgemeinen regional verwurzelt sind. Wir sehen das gerade am Beispiel der Stiftung Krupp. Betrachtet man die an der Börse gelisteten Unternehmen, so werden selbst von ihnen immer noch gut die Hälfte als Familienunternehmen geführt.

Die Politik sieht aggressive Investoren als neue Heuschrecken. Siegmar Gabriel, ehemaliger Bundeswirtschaftsminister, nennt Heuschrecken Feinde der Demokratie. Wie sehen Sie das?
Grote: Ich kenne keine Untersuchungen, die sich mit der Entwicklung von Arbeitsplätzen nach Zerschlagungen von Unternehmen befassen. Aber wir wissen, dass es unmittelbar nach Unternehmensübernahmen durch Private-Equity-Fonds zunächst regelmäßig zu Arbeitsplatzverlusten gekommen ist. Allerdings sind diese später im Schnitt wieder mehr als aufgefangen worden. Die Private-Equity-Fonds haben kein Interesse daran, die Unternehmen zu zerstören. Sie sollen wertvoller werden, um später gut verkauft werden zu können. Das ist auch das Ziel der heutigen Hedgefonds. Klar ist aber auch: Eine Abspaltung allein ist kein Garant für längerfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Entscheidend dafür bleibt ein fähiges Management.

Ihr Rat an Unternehmen?
Grote: Alle Unternehmen sind gut beraten, regelmäßig eine Überprüfung ihrer Aktivitäten durchzuführen und zu überlegen, ob das Unternehmen noch der beste Eigentümer für diese Aktivität ist. Wenn andere das besser können, weil das Management nicht genug Aufmerksamkeit auf die Entwicklung verwenden kann, oder andere höhere Synergien verwirklichen können, ist ein Verkauf eine bedenkenswerte – und oft wertsteigernde – Alternative.

Professor Michael Grote ist Vizepräsident für Akademische Angelegenheiten und Professor für Corporate Finance an der Frankfurt School of Finance and Management in Frankfurt am Main.

 

Dieter W. Heumann
– 16. Oktober 2018