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Grüne Geldanlagen / Interview
Drei von vier Wertpapierkunden wollen nachhaltig anlegen
Der Markt für nachhaltige Fonds und Finanzprodukte wächst rasant. Was das für eine Sparkasse bedeutet, erklärt Ingo Speich im Interview. Der 44-jährige Betriebswirt und Finanzanalyst ist seit 2019 Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Dekabank-Tochter Deka Investment.

Herr Speich, das Handelsblatt zählt Sie zu den 50 Pionieren, die sich in Deutschland dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben haben. Wie fühlt sich das für Sie an?

Ingo Speich: Über diese Auszeichnung als Klimapionier freue ich mich natürlich. Seit fast 20 Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Nachhaltigkeit. Als Portfolio-Manager bei der Union Investment gehörte ich zu den ersten Aktionärsvertretern, die Nachhaltigkeit bei Hauptversammlungen zum Thema gemacht haben. Damals, das war vor über zehn Jahren, war ich noch ein Exot. Eine solche Auszeichnung durch eine Wirtschaftszeitung wäre damals undenkbar gewesen. Das zeigt, welche Bedeutung das Thema inzwischen hat.

In den vergangenen drei Jahren haben Sie die Deka-Gruppe zu einem einflussreichen Investor gemacht. Wie ist Ihnen das gelungen?

Speich: Wir haben das Team neu aufgebaut und vergrößert, ein neues Research eingeführt und Strukturen und Prozesse geändert. Aktuell sind wir elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Als Nachhaltigkeitschef von Deka Investment sprechen Sie viel mit Unternehmensvertretern. Sie analysieren, wie nachhaltig die Unternehmen wirtschaften und ob sie daher in die Nachhaltigkeitsportfolios der Deka passen oder rausfliegen. Wann bekommt ein Unternehmen von Ihnen das Prädikat, nachhaltig zu sein?

Speich: Nachhaltigkeit erschöpft sich nicht in der Bekämpfung der Klimakrise. Für die Analyse eines Unternehmens kommen drei Kriterien, die sogenannten ESG-Kriterien, zur Anwendung: Ökologie, Soziales und gute Unternehmensführung.

Zu den ökologischen Aspekten gehören Klimaschutz, ressourcenschonendes Wirtschaften und der Schutz der biologischen Vielfalt. Zu den sozialen Aspekten zählen etwa die gerechte Entlohnung und die Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards, wie zum Beispiel der Ausschluss von Kinder- und Zwangsarbeit. Und zur guten Unternehmensführung gehört die Betrachtung des Aufsichtsrats und des Vorstands, deren Struktur und Interaktion untereinander.

Für die qualitative Einschätzung eines Unternehmens oder einer Branche nutzen wir ungefähr 250 Datenpunkte, darunter Energieverbrauch, CO2-Ausstoß und Häufigkeit von Arbeitsunfällen. Ein faires Vergütungssystem ist ein weiteres Kriterium.

 

Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment. Mit seinem Thema war Speich vor zehn Jahren noch ein Exot, heute zeichnet ihn das „Handelsblatt“ als Klimapionier aus.

Sie überprüfen Unternehmen hinsichtlich von Nachhaltigkeitsrisiken. Weshalb ist das Erkennen solcher Risiken aus Sicht eines Aktionärs, der in einen Deka-Fonds investiert hat, so wichtig?

Speich: Weil Nachhaltigkeitsrisiken Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb und somit auf die Ertrags- und Finanzlage haben und deshalb zu einem Wertverlust des Unternehmens führen können. Ich gebe Ihnen drei Beispiele. Erstes Beispiel: Schafft es ein Unternehmen mit hohem Energieverbrauch, zum Beispiel ein Stahlwerk, nicht, seinen CO2-Ausstoß massiv zu senken, drohen ihm hohe Kosten. Denn der Zukauf sogenannter Verschmutzungszertifikate wird in Zukunft teurer werden.

Zweites Beispiel: Neue Technologien können bekannte verdrängen, beispielsweise der Elektroantrieb den Verbrennungsmotor, und so das Geschäftsmodell des Unternehmens infrage stellen.

Ein drittes Beispiel: Bußgeldzahlungen wegen hinterzogener Steuern können die Reputation eines Unternehmens beschädigen und Investoren und Kunden abschrecken. Werden von uns diese oder andere Risiken identifiziert, dann werden die Aktien und Anleihen dieser Unternehmen aus dem Portfolio entfernt.

Können Sie weitere Beispiele von risikobehafteten Unternehmen oder Branchen nennen?

Speich: Unternehmen aus der Tabakbranche sind für uns tabu, weil bei diesen zu hohe Klagerisiken bestehen und im schlimmsten Fall mit Schadensersatzzahlungen an Raucherinnen und Raucher in Milliardenhöhe gerechnet werden muss. Auch Atomenergie sehen wir kritisch, da die Schäden bei einem GAU unkalkulierbar sind und die Endlagerung von radioaktivem Müll noch immer ungeklärt ist.

 

Das bald stillgelegte Atomkraftwerk Grohnde bei Hameln. Die Dekabank sieht Atomenergie kritisch, „da die Schäden bei einem GAU unkalkulierbar sind und die Endlagerung von radioaktivem Müll noch immer ungeklärt ist“, sagt Nachhaltigkeitsmanager Speich.

Weshalb ist es für einen Anleger interessant in nachhaltig wirtschaftende Unternehmen zu investieren?

Speich: Aus mehreren Gründen, erstens: Ein umweltschonender und effizienter Umgang mit Ressourcen spart Kosten. Zweitens: Forschung und Entwicklung im Bereich umweltfreundlicher Produkte und Verfahren erhöhen das Innovationspotenzial und schaffen neue Absatzmärkte. Und drittens verbessert eine verantwortungsvolle Unternehmensführung das Image und langfristig die Gewinne.

Sie sind für Ihre markigen Worte an Hauptversammlungen bekannt, wenn Sie Nachhaltigkeitsrisiken sehen oder den grünen Umbau des Unternehmens für nicht ausreichend halten. Was ist Ihr schärfstes Schwert?

Speich: Als Aktionärsvertreter haben wir die Möglichkeit gegen Tagesordnungspunkte der Hauptversammlung zu stimmen und dem Management die Entlastung zu verweigern. Im vergangenen Jahr votierte unser Haus bei rund 20 Prozent der Tagesordnungspunkte gegen den Vorschlag des Unternehmens.

Beispiel RWE: Der Energieversorgungskonzern gehört europaweit zu den größten CO2-Emittenten. 2019 verweigerten wir dem Vorstand die Entlastung. Damit wollten wir einen Anreiz für eine schnelle Transformation des Energiekonzerns in eine kohlefreie Zukunft bewirken.

Hatten Sie damit Erfolg?

Speich: Ja, der Konzern entwickelte daraufhin eine neue Unternehmensstrategie mit ambitionierteren CO2-Reduktionszielen. Gerade vor ein paar Tagen hat RWE ein neues Investitionsprogramm zur massiven CO2-Senkung bekannt gegeben und damit die Bemühungen der letzten Monate verstärkt. Der Kapitalmarkt goutiert das mit steigenden Aktienkursen, da die Risikoprämie des Unternehmens sinkt.

 

RWE-Kraftwerk Niederaußem. Auch auf Druck der Dekabank als Aktionärsvertretung hat der Essener Energiekonzern mittlerweile ambitioniertere CO2-Reduktionsziele. In Niederaußem entsteht eine Pilotanlage, mit der nach dem Prinzip der Müllröstung aus Abfall Wasserstoff gewonnen werden soll. 

Weshalb tun sich viele Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit so schwer?

Speich: Häufig geht es um die Wahrung von Besitzständen. Oder weil sie den Zusammenhang von Nachhaltigkeitsrisiken und Unternehmenserfolg noch nicht verstanden haben. In den kommenden Jahren wird es massive Regulierungswellen geben, die Veränderungen von Geschäftsmodellen, Konsum- und Anlageverhalten mit sich bringen.

Eine rechtzeitige Vorbereitung auf zukünftige ökologische und soziale Standards verringert solche Unternehmensrisiken. Es ist unstrittig, dass Wachstum nur dann möglich ist, wenn die Wirtschaft nachhaltig wird. Die Welt verändert sich gerade schnell. Unternehmen, die das nicht beachten, sind langfristig nicht überlebensfähig.

Sehen Sie bei dieser Transformation auch wirtschaftliche Risiken?

Speich: Die gibt es durchaus. Infolge der Energiewende stellen sich für Unternehmen neue Herausforderungen. Für die Herstellung von Elektromotoren, Batterien, Solarmodulen und Windturbinen beispielsweise werden Rohstoffe wie Lithium, Nickel, Kobalt und seltene Erden benötigt. Materialien, bei deren Förderung Menschenrechte verletzt und bestimmte Umweltstandards nicht eingehalten werden, dürfen nicht in die Lieferketten gelangen.

Für die Unternehmen ist das ein Dilemma. Welche Lösungen gibt es?

Speich: Die Lösung besteht vor allem in der Entwicklung alternativer und ressourcenschonender Materialien sowie in der Schaffung von Transparenz und hohen Standards bei den bestehenden Lieferketten.

Gemessen am gesamten Fondsvermögen der Deka, wie groß ist der Anteil nachhaltiger Fonds?

Speich: Wir stellen fest, dass nachhaltige Fonds und Finanzprodukte immer stärker nachgefragt werden. In den letzten zehn Jahren ist der Anteil nachhaltiger Anlagen am gesamten Fondsvermögen der Deka enorm gewachsen, und zwar auf ungefähr zwölf Prozent. Der Markt nachhaltiger Geldanlagen wächst im Schnitt um 30 bis 40 Prozent jährlich. Eine interne Untersuchung hat ergeben, dass unter Sparkassenkunden drei von vier Wertpapierbesitzern nachhaltig anlegen wollen.

Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit, wo sehen Sie die größte Herausforderung in der Anlageberatung in den Sparkassen?

Speich: Die Beraterinnen und Berater müssen die dafür nötige Expertise mitbringen. Die Anlageberatung zum Thema Nachhaltigkeit ist komplex, nicht zuletzt wegen der neuen detaillierten regulatorischen Vorgaben, die ab August 2022 greifen.

Gemäß dieser neuen EU-Finanzmarktrichtlinie müssen Banken und Sparkassen Kundinnen und Kunden im Rahmen der Anlageberatung und Vermögensverwaltung ausdrücklich danach fragen, ob sie bei ihrer Geldanlage Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen wollen.

Die größte Herausforderung sehe ich darin, abstrakte Themen, die mit dem traditionellen Kapitalmarkt auf den ersten Blick wenig zu tun haben, in eine verständliche Sprache zu übersetzen. Zum Beispiel die Taxonomie-Verordnung. Diese definiert, was aus EU-Sicht als nachhaltig zu bezeichnen ist. Hinzu kommt der Dokumentationsaufwand eines Beratungsgesprächs.

Dass es bisher noch keine objektiven und einheitlichen Kriterien für nachhaltige Finanzprodukte gibt, macht die Beratung in der Praxis nicht einfacher.

Speich: Richtig. Wir stehen am Anfang eines mehrjährigen Regulierungsprozesses. Die EU-Taxonomie ist noch nicht ausgereift und wird daher erweitert werden. Neben Klimaschutz sollte man auch die Menschenrechte im Blick behalten.

Wie kann die Deka die Sparkassen im Vertrieb von nachhaltigen Finanzprodukten unterstützen?

Speich: Mit Schulungen für die Beraterinnen und Berater, mit begleitenden Unterlagen und einem breiten Produktsortiment, um den unterschiedlichen Kundenanforderungen gerecht zu werden. Wir müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, um den Klimawandel zu verlangsamen.

Praxistipps

In Zukunft wird Nachhaltigkeit zum Kernbestandteil einer jeden Anlageberatung werden. Durch die Regulatorik wird der Komplexitätsgrad für die Beraterinnen und Berater deutlich zunehmen. Nachfolgend fünf Punkte, die in der Anlageberatung im Bereich nachhaltiger Finanzprodukte zu beachten sind: 

  1. Nachhaltigkeit umfasst ökologische und soziale Aspekte. Hinzu kommt die gute Unternehmensführung. Nur im Gleichklang aller drei Aspekte kann Nachhaltigkeit analysiert und bewertet werden.
     
  2. Es existiert keine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit. Jede Anlegerin und jeder Anleger setzt eigene Schwerpunkte.
     
  3. Nachhaltigkeit unterliegt einem Veränderungsprozess. Das erfordert Flexibilität.
     
  4. Als Berater und als Anleger steht man in der Verantwortung. Jeder nachhaltig investierte Euro ist ein Beitrag zum grünen Umbau der Wirtschaft.
     
  5. Rendite und Risikoaspekte dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Nachhaltigkeit ist kein Verlustgeschäft, sondern soll sich auszahlen.

 

Ricardo Tarli (Bild oben: Shutterstock/Deka)
– 22. November 2021