KSK Ahrweiler Fluthilfe
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Flutkatastrophe – Interview
Noch ein Jahr bis zur Normalität
Die Hochwasserkatastrophe traf den Kreis Ahrweiler mit einer acht Meter hohen Flutwelle. Dieter Zimmermann, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Ahrweiler, über die Apokalypse, den Status quo und Solidarität innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe.

Unmittelbar nach der Flut haben Sie in einem Interview von einer Apokalypse gesprochen. Wie geht es Ihnen persönlich zwei Monate nach der Katastrophe?

Dieter Zimmermann: Persönlich bin ich durchaus gefestigt. Ich bin ohnehin jemand, der schnell nach vorne blickt, und das bin ich auch meiner Aufgabe als Vorstand einer Sparkasse schuldig. Wir müssen die Menschen, natürlich mit dem gebotenen Fingerspitzengefühl, mitnehmen und zur gegebenen Zeit Optimismus verbreiten. Und wir wollen zeigen, dass wir als Bank an der Seite unserer Kunden stehen. Das ist mir wichtig.

Wie und wo haben Sie die Flut erlebt? 

Zimmermann: Ich war in der Flutnacht an der Hauptstelle der Sparkasse. Den Weg nach Hause konnte ich schon nicht mehr antreten, weil sämtliche Zufahrtswege abgeschnitten waren. Als klar war, dass die Flut auch unsere Hauptstelle erreicht, habe ich mir meine Gummistiefel geschnappt und mich sofort zur Sparkasse aufgemacht.

Das Gebäude konnte man aber gar nicht mehr betreten, weil es bis ins Erdgeschoss geflutet war, der Parkplatz stand körperhoch unter Wasser. Zu dem Zeitpunkt schossen schon Autos, Bäume und unzählige Gegenstände durch den Ort. Das hinterließ in der finsteren Nacht kombiniert mit dem Stromausfall ein gespenstisches Szenario. 

Bekommt man da nicht Panik?

Zimmermann: Panisch war ich nicht. Wir haben schon kleineres Hochwasser erlebt, aber natürlich nicht in dieser Dimension. Man war so abgelenkt von den vielen Menschen, die aufgeregt umherliefen und um Hilfe riefen. Die Einsatzkräfte waren überall unterwegs. Ich war sehr fixiert auf den Pegelstand, der dann um 2:30 Uhr nachts tatsächlich das Hoch erreicht hatte. Dann bin ich am Laptop die Notfallszenarien durchgegangen, damit ich bei Sonnenaufgang vorbereitet war und sofort den Krisenstab einberufen konnte.

Wie geht es Ihren 370 Mitarbeitern? Wie viele sind persönlich und wie von der Flut betroffen? 

Zimmermann: Ein Drittel unserer Mitarbeiter ist direkt betroffen. Da war alles dabei, vom weggeschwommenen Auto und Hausrat bis hin zum komplett zerstörten Wohnhaus. Dazu kommen noch die vielen Fälle im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis.

 

„Wenn man in den Wochen danach die Geschichten der Kollegen aus der Flutnacht gehört hat, da war es schon bei vielen sehr eng.“

 

Wir haben zunächst einmal zum Glück keine Todesfälle zu beklagen. Aber wenn man in den Wochen danach die Geschichten der Kollegen aus der Flutnacht gehört hat, da war es schon bei vielen sehr eng. Einige haben zehn Stunden auf dem Dach ihrer Häuser verharrt. Das möchte man sich nicht im Detail vorstellen.

Sind jetzt alle Mitarbeiter wieder an Bord?

Zimmermann: Wir haben den Betroffenen zunächst ein paar Tage Sonderurlaub gegeben. Das haben wir aber schnell und großzügig nachjustiert, als klar wurde, dass die Mitarbeiter viel mehr Zeit brauchen. Viele waren bis zu drei oder vier Wochen weg, nicht alles auf Ticket des Arbeitgebers, sondern auch mit Überstunden und Urlaub.

Wir haben immer gesagt, dass die Funktionsfähigkeit der Sparkasse gewährleistet sein muss. Und alles darüber hinaus haben wir großzügig gehandhabt.

Können die Beschäftigten inzwischen wieder ungehindert zur Arbeit kommen? Es sind ja Autobahnen, Straßen und Brücken gesperrt.

Zimmermann: Manche Mitarbeiter hatten anfangs kein Fahrzeug mehr. Wir haben dann über die Deutsche Leasing zügig Leihfahrzeuge zur Verfügung gestellt. Mit Umwegen kommt man heute wieder zur Arbeit. Und in den vergangenen Tagen sind Behelfsbrücken über die Ahr fertiggestellt worden, sodass sich die Fahrtzeiten wieder normalisieren.

Wie geregelt läuft der Alltag, können die Kinder wieder in die Schule gehen?

Zimmermann: Ein Drittel des Landkreises, der Bereich der Mittelahr, ist betroffen. Hier waren alle Schulen und Kitas beschädigt oder zerstört. Es ist dennoch mit Unterstützung der Nachbarkommunen und -kreise gelungen, nach den Sommerferien allen Schülern ein Angebot zu unterbreiten und auch den Transport zu organisieren. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. 

Wie klappt die Lebensmittelversorgung?

Zimmermann: Bis in den letzten Tagen hatten wir noch eine flächendeckende Versorgung von den Hilfsorganisationen, die sich aber sukzessive zurückziehen. Der ein oder andere Discounter öffnet jetzt wieder. Ganz ideal ist es noch nicht. Wenn man in der Mittagspause ein Brötchen essen will, ist das durchaus mit einer Autofahrt von zwei Kilometern verbunden.

Wie sieht es in den 23 Filialen der Kreissparkasse aus?

Zimmermann: Einer unserer größten Standorte, die Geschäftsstelle in Bad Neuenahr, ist komplett zerstört. Die 2013 fertiggestellte Hauptstelle in Ahrweiler ist gleichfalls stark betroffen. Insgesamt ist ein Drittel der Standorte beschädigt.

 

„Einer unserer größten Standorte, die Geschäftsstelle in Bad Neuenahr, ist komplett zerstört. Insgesamt ist ein Drittel der Standorte beschädigt.“

 

In der Zentrale sind wir trotzdem voll funktionsfähig, weil sie sich auf mehrere Gebäude erstreckt, sodass wir Ausweichmöglichkeiten haben. Die Bereichsgrenzen haben wir durchbrochen. Heute sitzt der Firmenkundenbetreuer neben dem Marktfolge-Mitarbeiter oder derjenige aus dem Zahlungsverkehr neben dem aus der Innenrevision. Ein großer Teil der Mitarbeiter sucht sich morgens ein freies Zimmer. 

Wann ist die Sparkassen-Infrastruktur wieder auf dem Stand von vor der Flut?

Zimmermann: In Bad Neuenahr brauchen wir erst einmal eine Konzeption und müssen dann neu bauen. Das dauert. Wenn wir in einem Jahr telefonieren, dürfte im Wesentlichen alles wieder so sein wie vor der Flut. 

Wie haben benachbarte Sparkassen geholfen?

Zimmermann: In Bad Neuenahr steht ein S-Truck der Sparkasse Werra-Meißner, in dem die Mitarbeiter auch Beratung anbieten können. An der Mittelahr ist eine fahrbare Geschäftsstelle der Kreissparkasse Kusel im Einsatz, die sehr gut angenommen wird. Die hochwassererprobte Sparkasse Eifel-Mosel-Hunsrück schickte Pumpen und -zubehör. Von der Kreissparkasse Mayen kamen Firmenfahrzeuge, von der Sparkasse Südpfalz EDV und Computer.

 

„Das habe ich als sehr positiv erlebt. Das war Solidarität pur.“

 

Mit Mitarbeitern der Sparkasse Koblenz und der Sparkasse Neuwied haben wir unser Kreditarchiv leergeräumt und die Kreditakten gesichert, darunter waren sogar Vorstandskollegen, die kräftig mit angepackt haben. Das habe ich als sehr positiv erlebt. Das war Solidarität pur. 

KSK Ahrweiler Fluthilfe
Mitarbeiter der Kreissparkasse Ahrweiler gemeinsam beim Aufräumen (von links): Odo Schmidgen, stellvertretender Bereichsleiter Firmenkunden; Rolf Haupt, Bereichsleiter Privatkunden; Dieter Zimmermann, Vorstandsvorsitzender; Markus Krupp, Bereichsleiter Marktfolge Kredit.

Die Kreditakten sind gar nicht digitalisiert?

Zimmermann: Doch, die sind digital. Gott sei Dank. Aber es gibt in den Kreditakten Dokumente, die irgendwann an den Kunden zurückgehen müssen, Kfz-Briefe, Versicherungspolicen, etc. Deshalb mussten wir die Akten retten. 

Hält die Hilfsbereitschaft immer noch an?

Zimmermann: Viele Angebote konnten wir bis heute gar nicht annehmen. Dr. Harald Vogelsang, Vorstandsvorsitzender der Haspa, hat uns zum Beispiel angeboten, Mitarbeiter zu schicken. In einer Spendenaktion der Beschäftigten der Kreissparkasse Rhein-Hunsrück kamen für unsere Kollegen 26.000 Euro zusammen. Unsere Kollegen bei den Sparkassen Koblenz und Bitburg-Prüm sammeln ebenfalls für unsere Mitarbeiter.  

Wie ist die lokale Wirtschaft betroffen, und damit Ihre Kunden?

Zimmermann: Das ist natürlich unser zentrales Thema. Das haben wir über Stresstests, Geodaten und Kundengespräche untersucht. Wir gehen davon aus, dass rund 1000 Betriebe sowie 4000 Immobilien betroffen sind, darunter 1500 von uns beliehene.

 

„Deshalb gehen wir davon aus, dass das Gros der Betrieb doch weitermachen kann und die notwendigen finanziellen Mittel da sind.“

 

Eine echte Insolvenzgefahr könnte bei 50 bis 60 Kunden bestehen. Mittlerweile steht aber der Wiederaufbaufonds von Bund und Land. Deshalb gehen wir davon aus, dass das Gros der Betriebe doch weitermachen kann und die notwendigen finanziellen Mittel da sind.

Die Kreissparkasse Ahrweiler hat ein Sonderkreditprogramm aufgelegt. Wie wird es angenommen?

Zimmermann: Die Betroffenen können einen Betrag von bis zu 50.000 Euro schnell und unbürokratisch ohne Sicherstellung abrufen. Durch den über die Laufzeit von bis zu zehn Jahren festen Zinssatz von 0,25 Prozent bietet der Kredit nicht nur Planungs- und Zinssicherheit, sondern hält gleichzeitig die Belastungen so gering wie möglich.

Das Programm haben wir nicht limitiert, und wir wollen es bis Ende 2021 fortführen. Wir haben mittlerweile 14 Millionen Euro draußen. Das war für viele, die etwa Hausrat oder ein Auto kaufen mussten, eine gute erste Hilfe, um Boden unter die Füße zu bekommen. Den Rest kann man wahrscheinlich über den Fonds und Versicherungen abdecken.

Im Ahrtal hat die Weinlese begonnen. Zehn Prozent der Weinberge sind zerstört. Wie hat die Sparkasse den Winzern geholfen? 

Zimmermann: Die haben sich in erster Linie selbst geholfen. Es gab eine gigantische Hilfe von benachbarten Weinanbaugebieten. Da waren ganze Heerscharen von Weinlesern im Ahrtal, die die Weinberge bearbeitet haben. Leihgeräte wurden gebracht oder sogar Maschinen geschenkt. Die Winzer werden deshalb in der Lage sein, dass alle jetzt gelesenen Trauben auch vor Ort ausgebaut werden können.

Ich habe mehrere Weingüter besucht, die Keller sind weitestgehend aufgeräumt. Die Fässer sind allerdings fast alle weggeschwemmt worden. Es ist jedoch erstaunlicherweise gelungen, die meisten Flaschen zu retten. Viele wurden über die Landesgrenzen hinaus im Einzelhandel als Flutwein verkauft. Das ist ein riesiger Erfolg.

Die Kreissparkasse hat auch Spenden an die lokale Bevölkerung ausgereicht, wie viel und wie lief das?

Zimmermann: Die Kreissparkasse Ahrweiler hat gemeinsam mit der Kreisverwaltung in einem ersten Schritt mit einem Betrag von einer Million Euro die Soforthilfe für alle im Kreis Ahrweiler betroffenen Bürger auf den Weg gebracht.

Gemeinsam mit dem Sparkassenverband Rheinland-Pfalz, der ebenfalls eine Million Euro bereitgestellt hat, und weiteren Partnern unserer Sparkassen-Finanzgruppe sind so bereits mehr als fünf Millionen Euro für die Menschen vor Ort zusammengekommen. Diese erste Soforthilfe war besonders wichtig und hilft den Menschen unmittelbar, Geld für das Nötigste zu haben. Die Beantragung und Abwicklung konnte über die Kreisverwaltung sehr schlank organisiert werden.

Wie wird sich die Flut auf das Geschäftsergebnis im Jahr 2021 auswirken?

Zimmermann: Stand 31. August sind wir plangemäß unterwegs. Aber wir sehen schon, dass die Einlagen explodieren. Das macht uns am meisten Kummer. Wir haben einen Einlagenzuwachs von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, bedingt durch Spenden, Hilfsgelder, Versicherungsabschläge. Jetzt kommen noch die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds hinzu.

 

„Die Bilanzsumme explodiert und damit verschieben sich alle Ertrags- und Erfolgskennziffern. Dieses Thema ist aktuell unberechenbar.“

 

Ich habe mich schon an die Bundesbank gewandt, und auch DSGV-Präsident Helmut Schleweis unterstützt uns dabei, um eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Das würde sonst sämtliche Kennziffern der Bank durcheinanderbringen. Die Bilanzsumme explodiert und damit verschieben sich alle Ertrags- und Erfolgskennziffern. Dieses Thema ist aktuell unberechenbar.

Wir werden natürlich im Vertrieb im Verbundgeschäft deutliche Einbußen sehen, im Bauspar-, Versicherungsgeschäft, bei den Einnahmen aus Geldautomaten und Karten. Da machen sich auch die Einbußen aus dem für unsere Kunden so wichtigen Tourismusgeschäft bemerkbar. 

Aus den Nachrichten ist das Thema Flut fast gänzlich durch Afghanistan und die Wahl verdrängt worden. Wie empfinden Sie das?

Zimmermann: Ja, in den Hauptnachrichten wie ARD und ZDF ist das Thema weg. In den regionalen Sendern wie Südwestfunk hatten wir aber noch bis in die letzten Tage Benefizveranstaltungen im Fernsehen.

Ungebrochen aktuell ist die Flut in den Social Media, was mit Blick auf die Reichweite eine noch größere Rolle spielt. Da ist die Ahr noch in aller Munde.

Eli Hamacher (Bild oben: KSK Ahrweiler)
– 24. September 2021